Zwei junge Deutsche und ihr Besuch im Kulturzentrum Jon Cortina

IMG_2276Während den 25 Jahren, in denen die Vereinigung TNT Kunst und Kultur gefördert hat, haben viele nationale und internationale Künstler*innen eine Reise von ihren Ursprüngen in dieses von Bergen umgebene Land unternommen, um ihren Beitrag zur künstlerischen Bildung von Kindern, Jugendlichen und älteren Menschen in diesen Gemeinden zu leisten, unter anderem auch Mike und Lea, zwei deutsche Theaterpädagogikstudierende mit ihrem Besuch im Kulturzentrum Jon Cortina.

Wer sind Lea Sherin und Mike Brendt?

Lea:

Ich bin Lea (Lia), 23 Jahre alt und studiere Theaterpädagogik. Ich mag es neue Orte, die dort lebenden Menschen und ihre kulturellen Hintergründe kennenzulernen. Ich habe bereits für einige Zeit außerhalb von Europa gelebt, aber es ist das erste Mal für mich in Zentralamerika zu sein und El Salvador hat mir sehr gut gefallen. Nächstes Jahr beende ich mein Studium und möchte dann auf jeden Fall nochmal zurückkommen.

Mike:

Ein Typ, der bestrebt ist viel über die Kultur, die Geschichte und die Gesellschaft zu lernen, um die Dinge zu erfahren, zu verstehen und zu analysieren. Ein Typ der es liebt zu reden und danach sucht mit jeder Lebenssituation spielerisch umzugehen. Der sich oft wie ein Clown verhält, sich oft aber auch auch in seinen Kopf und seine Gedanken zurückzieht. Ein schlampiger Perfektionist mit dem Hang Fehler zu machen. Doch Fehler sind das größte Geschenk, das wir annehmen müssen. Sowohl im Theater, als auch im Leben. Sich daran stets zu erinnern ist der Schlüssel zum Glück.

Wie ist es dazu gekommen, dass ihr Interesse an einem Besuch in El Salvador bekommen habt und wie seid ihr auf die Idee gekommen euer studentisches Praktikum gerade bei der TNT Association am Jon Cortina Cultural Center zu machen?

Lea:

In Deutschland habe ich Leute aus El Salvador kennengelernt, die einen entwicklungspolitischen Freiwilligendienst machen. Eine der Freiwilligen, die aus Guarjila kommt, hat mir von TNT erzählt. Daraufhin habe ich im Internet nach dem Projekt recherchiert und Lust bekommen, die Arbeit von TNT im Rahmen meines studienbezogenes Praktikums genauer kennenzulernen. Hinzu kam, dass TNT international ausgerichtet ist und bereits seit einigen Jahren Kontakte nach Deutschland hat.

Mike:

Am Anfang einfach meine Spontanität, sich auf Dinge einzulassen, von denen ich noch nicht genau sagen kann was kommt. Lea hat mir erzählt, dass sie ihr Praktikum bei TNT (El Salvador) machen möchte und mich gefragt, ob ich nicht Lust hätte auch mitzukommen. Ich hatte ehrlich gesagt nur eine grobe Vorstellung von der Kultur, dem Land El Salvador und dem dortigen Theaterverständnis. Gerade das hat mich angetrieben mehr darüber zu erfahren. Auch vom Projekt an sich wusste ich anfangs recht wenig. Nur, dass die Arbeit daraus bestehen würde, mit  Kindern, Jugendlichen, Frauen oder ältere Menschen mit den Mitteln des Theaters, des Tanzes und des Zirkus zu arbeiten.

 

Was bedeutete es für Lea und Mike so viele Meilen von zu Hause wegzufliegen, um ihr Praktikum in einem mittelamerikanischen Land absolvieren zu können?

Lea:

Ein Jahr im Voraus war ich bereits im Kontakt mit dem Direktor von TNT, um die Zeit in El Salvador vorzubereiten. Außerdem musste ich meine Spanischkenntnisse aus der Schule wieder auffrischen, da es schon über 6 Jahre her ist. In Los Ranchos musste ich meine Verantwortung für die Aufgaben des Studiums behalten und sie nach der Arbeit erledigen. Um den Kontakt mit meiner Familie zu behalten, bin ich, wegen der Zeitverschiebung, morgens früher aufgestanden, um vor der Arbeit zu telefonieren.

Mike:

Ein großes Abenteuer und einen großen Schritt raus aus meiner Komfortzone. Für mich ist des erste Mal überhaupt das ich mich außerhalb von Europa befinde und dann gleich für solange Zeit. Ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass es mir so leicht fallen würde so weit weg zu sein. Mein Bestreben mich mit dem Theater und den Theatertraditionen eines anderen Landes zu beschäftigen, um so neue Eindrücke und Inspirationen zu bekommen hat definitiv überwogen.

Könnt ihr einige der bedeutendsten Momente in eurer Zeit im Jon Cortina Cultural Center aufzählen?

Lea:

  • Mein 1. Tag bei TNT im Tanzworkshop mit dem Team des Tanzfestivals FESTIDANZA
  • Besuch der Kulturministerin und die damit verbundene Theateraufführung der Kinder
  • Das erste Mal Pupusas von Emersilda zum Frühstück
  • Die Eröffnung der Fotoausstellung „Reencuentros“ über Familien, die aufgrund des Bürgerkriegs in El Salvador ihre Kinder verloren haben
  • In einem Gespräch mit Marvin mehr zur Geschichte von El Salvador zu erfahren. Für mich als Deutsche in El Salvador ist es wichtig darüber Bescheid zu wissen, dass der Mord an der indigenen Bevölkerung des Diktators Maximiliano Hernández Martínez von den Nazis mit unterstützt wurde.
  • Das Treffen „Escribiendo la Escena Centroamericana“ bei dem 35 Künstler*innen aus Zentral- und Lateinamerika zusammenkamen und ich beim Tanzworkshop dabei war.
  • Das Kennenlernen der Arbeit in ISNA in Ilopango mit jungen, inhaftierten Frauen.

Mike:

  • Der Workshop mit den Leuten von Festidanza und ihre großartige Aufführung. Das erste Mal im Rahmen dieses Workshops mit den Jugendlichen von TNT ins Spiel zu kommen. Insbesondere erinnere ich mich an eine tolle Improvisation mit Yogueri (Teilnehmender bei TNT)
  • Die Reflexionsgespräche auf Augenhöhe mit Marvin, Irma, den teilnehmenden Kids y Jugendlichen und uns. Unvergesslich bleibt mir da eine flammende und inspirierende Ansprache von Irma
  • Der Besuch der Kulturministerin El Salvadors. Besonders wegen der Aufführung unserer Kids von TNT, die in diesem Rahmen gezeigt wurde.
  • Das erste Mal Clown sein bei PequeCine am Donnerstag und in dieser Rolle beim Projekt des Centro de Bienestar Infantil (CBI) zusammen mit Marvin aufzutreten. Marvin ist einfach ein großartiger Impro-Partner!
  • Nachhilfestunden deutsch-spanisch/ spanisch-deutsch mit Rodolfo. S.: Ü!
  • Die Überforderung, als wir spontan und überraschend den Workshop für die Kids leiten mussten und wie toll dieser gelaufen ist.
  • Rumblödeln, tanzen und Witz machen mit Yogueri, Jonathan, Marvin, Julio, Delmy, Kathi y Sandra.
  • Das der Computer das Passwort nur annimmt, wenn Julio es eingibt
  • Das tägliche und gemeinsame Frühstück und Mittagessen im Projekt. Vielen Dank an das großartige Küchenteam!
  • Die Eröffnung der Fotoausstellung Reencuentros, die die Zusammenführung von Familien dokumentiert, die in der Zeit des Bürgerkrieges getrennt wurden.

Welche Lehren habt ihr in dieser gemeinsamen Zeit zusammen mit der TNT Association, dem Jon Cortina Cultural Center und den Gemeinden von Chalatenango gezogen?

Lea:

Für mich war es beeindruckend zu sehen, was für eine wichtige Rolle die Geschichte des Landes spielt, der Bürgerkrieg, aber auch die Wiederbevölkerung der verschiedenen Gemeinden in Chalatenango (bspw. Wie in San Antonio Los Ranchos) und wie die Geschichte in Erinnerung behalten wird, indem es beispielsweise in einem Theaterstück wieder aufgegriffen wird. Außerdem habe ich gelernt, wie wichtig es ist, die Verantwortung jedem einzelnen Kind und Jugendlichen zu übergeben, damit die Zusammenarbeit in der Gruppe funktioniert und wie jede Person wertgeschätzt wird und für die Gruppenprozesse wichtig ist.

Mike:

Im Centro Cultural habe ich Menschen getroffen, die ich aufgrund ihrer Offenheit, Hilfsbereitschafft und Hingabe direkt ins Herz geschlossen habe. Ich genieße sehr, wie hier jeder als Teil der großen TNT-Familie wahrgenommen wird und das unabhängig vom Alter oder ob die Person aktuell noch Teil des Projektes ist oder inzwischen anderweitig unterwegs. Bei TNT ist jeder willkommen. Der Fokus liegt darauf mit Spiel, Spaß und auch Disziplin und Ernsthaftigkeit Werte zu vermitteln, um die Menschen für ihren Alltag handlungsfähig zu machen. Ihnen den Raum für Kreativität und kritisches Denken zu eröffnen.

Das mit Offenheit, zuhören, Verständnis für einander und Ehrlichkeit viel erreichbar ist. „So wie du dich anderen Gegenüber verhältst und ihnen begegnest, so kommt es auch zu dir zurück.“

Wie würdest du die Gemeinde San Antonio Los Ranchos beschreiben? Menschen, Traditionen, kulturelles Leben usw.

Lea:

Mein Eindruck der Bewohner*innen aus Los Ranchos ist, dass sie sehr offen und herzlich sind und einen immer auf der Straße grüßen. Ich habe mich sehr wohl und aufgehoben gefühlt.

Mike:

Jeder kennt jeden, jeder grüßt jeden, jeder akzeptiert jeden. Es ist ein ruhiges und angenehmes Dorf in dem die Menschen zuvorkommend und hilfsbereit sind und ihrer Freude gerne mit Feuerwerk Ausdruck verleihen. Gerade hier, wo der Hauptaustragungsort des Bürgerkrieges war und gewaltige Spuren hinterlassen hat, ist es wichtig gemeinsam Ideen zu entwickeln, aufeinander Acht zu geben und gemeinsame Ziele anzustreben.

 

Was noch hinzuzufügen ist

Lea:

Mich interessiert die Theaterarbeit außerhalb von Europa, um neue Theatertraditionen, Arbeitsweisen und Theatermethoden weg vom europäischen Kontext kennenzulernen. Ich kann mir sehr gut vorstellen, in der Zukunft in einem Land im Süden zu leben und zu arbeiten.

Mike:

Wenn ich jetzt nochmal so über die Zeit nachdenke ist das einzige Problem, dass mich sehr beschäftigt hat die Sprache: Meine Spanischkenntnisse waren zu Beginn des Praktikums leider nicht wirklich vorhanden und perfekt sind sie auch noch lange nicht. Immer wieder gab es Situationen, wo mich das sehr frustriert hat und ich sauer auf mich selbst wahr nicht alles verstehe zu können. Doch nach und nach kam ich mehr dahinter und bin sehr bestrebt auch in Deutschland weiterhin an meinen Sprachkenntnissen zu arbeiten. Ich habe gelernt, dass trotz der kulturellen und gesellschaftlichen Unterschiede es eigentlich nur die Sprache ist, die einen grenzfreien Umgang mit einander verhindert. Und das ist eine Grenze, dies sich denke ich am leichtesten aus dem Weg räumen lässt. Den es liegt an einem selbst, ob man daran arbeiten möchte. Diese Erkenntnis bedeute mir ganz viel. Auch bieten sich gerade durch das gemeinsame erleben und spielen im Theater und natürlich auch im miteinander leben Möglichkeiten, um eine eigene Sprache zu finden und sich vor allem über den körperlichen Ausdruck zu verständigen. An Ende ist das gesprochene Wort eben doch nicht alles. Viel zentraler sind die Einstellung und die Haltung zum Gegenüber. Lange habe ich mich und meine Persönlichkeit hinter dem Sprachdefizit versteckt. Diese Angst zu überwinden ist eine von vielen kostbaren Erkenntnissen dieser Reise.

Das Leben ist eine Probe. Also probiere aus: Try, Fail and be Happy.

Zu Guter Letzt:

Wir vermissen euch jetzt schon und kommen auf jeden Fall nochmal wieder, um TNT einen  Besuch abzustatten! Wir hoffen, dass wir viele von euch auch dann auch im nächsten Jahr im Rahmen der KinderKulturKarawane in Deutschland sehen werden!

Lea und Mike

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